
Ist der Text oben zu klein? Nachfolgend der gleiche Text, etwas grösser:
Worte
'In diesem Augenblick lesen Sie diese Worte', aus diesem Satz muss ich eine Geschichte erfinden! Diejenigen, die mich kennen (oder schon mal auf meiner Website waren) wissen, dass ich ein Fernstudium für angehende Autoren absolviere. Da hatte ich bereits die unterschiedlichsten Aufgaben zu bewältigen, aber diese hier übertrifft alle. Verzweifelt sitze ich an meinem Schreibtisch und durchforste mein Gehirn nach einer Idee - finde aber nur gähnende Leere. Wie kann denn aus diesen banalen Worten eine Geschichte entstehen? Ich lese den Satz, wieder und wieder, und hoffe auf eine Eingebung. Da kommt mir ein Spruch in den Sinn: 'Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott'. Mit diesem Spruch habe ich so meine Mühe. Was wäre das für ein Gott, der erst hilft, wenn ich mir selber helfe? Dann bräuchte ich ihn ja nicht mehr. Oder ist es umgekehrt? Gott hilft mir andauernd, nur merke ich es erst, wenn ich aktiv werde, wenn ich einen Schritt mache, dann wieder einen und wieder einen. Und rückblickend stelle ich fest, Gott war die ganze Zeit dabei. 'Gott hilft mir, mir selber zu helfen', kommt für mich der Sache näher. Immerhin gab er mir einen Kopf zum Nachdenken. Da sollte ich doch etwas Kreatives zustande bringen.
Der Satz liegt immer noch vor mir. Ich starre jedes einzelne Wort an, bis mir die Augenlider schwer werden. Plötzlich fangen die Worte an zu tanzen, hüpfen herum, schwirren durchs Zimmer und landen wieder auf dem Papier.
Nun steht da: 'Diese Worte lesen in diesem Augenblick Sie'. Oh, jetzt lese nicht ich, sondern die Worte lesen mich. Interessant.
Wieder flattern die Worte herum und landen: 'Augenblick, Sie lesen in diesem diese Worte.' In wem lese ich diese Worte?
'Augenblick Sie, Worte lesen diese in diesem!' Wie bitte?
'Diese Worte, in diesem Augenblick, Sie lesen.' Ja, ich lese, komme aber nicht zu einer Geschichte.
'Lesen Worte in Augenblick diesem diese Sie?' Hilfe!
Zornig knalle ich die Faust auf den Schreibtisch. Die Worte zischen davon, krachen an die Zimmerdecke und lösen sich in Luft auf. Ich schrecke auf, bin wohl eingenickt.
Als ich wieder auf den Schreibtisch blicke, stehen sie nach wie vor da, die Worte, wohlgeordnet, wie am Anfang. Und ich habe noch immer keine Geschichte. Was Worte so alles bewirken können! Manchmal treiben sie mich zur Weissglut, wie jetzt gerade, manchmal bringen sie mich zum Lachen, manchmal zum Weinen. Das grösste Glück liegt in den Worten: 'Ich liebe dich.' Wie oft hört man diese Worte in seinem Leben? Wohl eher selten. Meistens hören wir andere Worte. Vorwurfsvolle, zurechtweisende, kritisierende Worte, und dies von klein an bis ins hohe Alter. Wie gut tut es da, zu erahnen, zu glauben, zu fühlen, vielleicht auch zu wissen, dass die Worte 'Ich liebe dich' fortwährend ausgesprochen werden von dem, der uns geschaffen hat.
erschienen im 'reformiert' vom März 2013
© Joffrey Benedetto Asta
CH-3237 Brüttelen