top of page

Foto: © Andreas Hermsdorf / www.pixelio.de

Von Grau zu Hummel

 

„Mein Leben ist gut, doch mit der richtigen Frau wäre es perfekt.“ Der Mann, sympathisches Lächeln, erste Falten im Gesicht, flimmerte über den Flachbildschirm und warb für eine Partner­vermittlung. Ben Grau, solcher Werbung über­drüssig, blickte zur Zimmerdecke hoch und seufz­te: „Oh Gott, wann finde ich bloss die Frau meines Lebens?“ Er ahnte nicht, dass sich sein Wunsch schon bald erfüllen würde.

 

Am nächsten Morgen piepste exakt um Acht die Stempeluhr. Ben brachte den Tag hinter sich – wie seit Jahren schon – mit der immer gleichen Arbeit. Am Abend hätte er genau um fünf Uhr ausge­stempelt und wäre – auf seinem Stammplatz sitz­end – mit dem Bus nach Hause gegondelt. Wenn nur der PC schneller heruntergefahren wäre. Erst um drei Minuten nach fünf kam Ben raus. „Ver­dammt! In zwei Minuten fährt mein Bus!“ Er spurtete los. Gleichzeitig donnerte es und ein Sommergewitter tauchte alles in triefende Nässe. Keuchend griff Ben in der Aktentasche nach dem Regenschirm, übersah dabei die Bordsteinkante und klatschte auf den Asphalt. Ein Stich schoss durch sein Knie. Ihm wur­de schwarz vor Augen. Doch er kämpfte sich hoch und erreichte hum­pelnd die Haltestelle. Vom Bus sah er nur noch die Rücklichter. Ben war nass bis auf die Knochen. Sein Herz stampfte wie ein Presslufthammer und sein Gesicht glühte vor Zorn. Er hasste es, wenn es nicht so lief wie gewohnt.

Der nächste Bus kam und Ben ging schnurstracks auf seinen Stammplatz zu. Doch statt sich zu setzen, blieb er stehen, wie eingefroren. ‚Besetzt. Scheisse nochmal‘, fluchte er in sich hinein. Der Bus beschleunigte, Ben schwankte, griff nach der Haltestange, verfehlte diese und stürzte auf seinen Stammplatz. Die Frau kreischte, als Ben auf ihrem Schoss landete. Unbeholfen rappelte er sich auf, stammelte „'tschuldigung...“, und liess sich auf den Platz gegenüber fallen.

„Macht nix. Nässer kann ich nich' werden“, lächelte sie und rückte ihren roten Mini zurecht.

Ben starrte verlegen zu Boden. ‚Ich bin so ein Trottel‘, schalt er sich. Doch dann fiel sein Blick auf ihre Sandalen. Und heimlich wanderten seine Augen ihre wohl geformten Beine hoch, über den Minirock und ihre Taille hinweg zu den Brüsten, wo sie kurz verweilten. Von dort schweifte sein Blick über ihre triefenden Haare und trafen auf die brau­nen Augen, die ihn direkt ansahen. Bens Herz blieb stehen; blitzartig lenkte er seinen Blick zum Fens­ter hinaus. Seine Wangen brannten wie Lava.

Plötzlich zeigte die Frau auf sein Knie. „Mein Gott, was is' denn Ihnen zugestossen?“ Sie holte ein Taschentuch hervor und begann, seine Wunde zu versorgen. Ben zog verunsichert sein Knie zurück.

„Ich beiss nich', oder wollen S‘e 'ne Blutvergif­tung?“

Ben war dies nicht ganz geheuer. Wann hatte ihn das letzte Mal eine Frau berührt? Als seine Halte­stelle in Sicht kam, verabschiedete er sich stamm­elnd und humpelte zur Ausgangstüre. Beim Aus­steigen wollte er zurückblicken, traute sich aber nicht. Hinkend überquerte er die Strasse und bog in sein Quartier ein. In Gedanken kehrte er jedoch zu ihren Augen zurück, und zu ihrem Busen. „So einer Frau begegnet man nur einmal im Leben, und ich mach mich davon. Idiot nochmal!“, brummte er. Mit hängendem Kopf steuerte er auf sein Hoch­haus zu. Jemand folgte ihm, doch das bemerkte er nicht. Wie immer wäre er die Treppe hoch ge­stiegen, doch sein Knie zwang ihn in den Lift. Als sich die Lifttüre im ersten Stock wieder öffnete, hörte er Schritte im Trep­penhaus. Kurz darauf fiel seine Kinnlade herunter.

„Glauben S‘e ja nich', dass ich S‘e verfolg‘! Ich wohn‘ hier seit ‘nem Monat“, schmunzelte die Frau aus dem Bus und schloss ihre Wohnungstür auf.

„Sie sind Frau Hummel?“

„Genau. Dann sind S‘e Herr Grau, den ich morgens die Trepp‘ hinuntertrampeln und abends in der Küch‘ hantieren hör‘, aber nie zu Gesicht bekomm‘. Wir seh'n uns... “ Diesmal liess sie ihn stehen.

 

Ben wusste nicht, ob er betrübt oder erleichtert sein sollte. Seine Gedanken fuhren Achterbahn. Das einzige, was ihm jetzt half, nicht den Boden unter den Füssen zu verlieren, war die allabendliche Routine. Er ging in die Küche, kochte einen Topf Spaghetti und holte den Pesto Rosso hervor. Bevor er die Pasta damit rot einfärbte, prüfte er das Verfalldatum. „Auch das noch. Abgelaufen.“ Die Wut stieg schon in ihm hoch, als plötzlich die Türglocke erschallte. „Wer ist denn das jetzt?!“ Er holte tief Luft, öffnete die Tür – und vergass auszu­atmen. Der Homedress zeichnete ihre Proportionen dermassen nach, dass Ben zwischen begehr­lichem Hinschauen und beschämtem Wegsehen hin und her schwankte. Und dann diese Augen!

„Hey, hab‘n S‘e noch nie 'ne Frau geseh'n?“ Verunsichert und geschmeichelt zugleich stand Frau Hummel mit einem Glas Pesto Rosso in der Hand im Flur. „Ohne Spaghetti schmeckt das nich'. Haben S‘e welche übrig?“

Ben schaffte es doch noch auszuatmen. Unter­dessen galoppierte aber sein Herz in der Brust herum. Frau Hummel schaute ihm direkt in die Augen und Ben drohte in ihnen zu versinken.

„Hallooo…?“, lächelte sie.

„Äh…, ja, also, Spaghetti hab ich für zwei. Und Ihr Pesto Rosso kommt wie gerufen. Meins ist nämlich abgelaufen.“

„Is‘ ja super. Essen wir bei dir oder bei mir? Oh, sorry.“ Sie streckte Ben die Hand hin. „Ich bin Sandy.“

„Äh…, ich bin Ben.“ Ihre Hand war so zart, am liebsten hätte er sie nicht mehr losgelassen. „Meine Spaghetti sind gleich fertig.“

„Also bei dir.“

 

 

verfasst Februar 2013, überarbeitet Februar 2014

© Joffrey Benedetto Asta

CH-3237 Brüttelen

 

 

ben-detto | Geschichten zum 'Davonlaufen' | Joffrey Benedetto Asta

ben-detto

Geschichten zum 'Davonlaufen' von Joffrey Benedetto Asta

FOLLOW ME

  • Facebook Classic
  • Twitter Classic
  • c-youtube

© Joffrey Benedetto Asta

bottom of page