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Foto: © lupo / www.pixelio.de

Tod bei Vollmond

 

„Ich wette, das war Mord!“ Ango Furbo schaute Kommissar Bodenpilz eindringlich an.

„Ango, Ango! Schlägt dein Spürsinn wieder aus, wie 'ne Wünschelrute? Bis' 'n Notfallarzt, nich’ Po­lizist.“

„Da ist was faul, Paul.“

„Faul, Paul. Has' doch die Leichen untersucht. Spuren von Gewalt gefunden, hä? Zwei tragische Unfälle mit Todesfolgen. Pedro Gonzalez is' besof­fen im Teich ertrunken, Lyria Sanchez im Suff vom Balkon gestürzt. Is' erledigt.“

 

Ich hätte es wissen müssen, ärgerte sich Ango Furbo, als er das Polizeigebäude verliess. Für den kommt auf eine Milliarde Unfälle nur ein einziges Verbrechen. So ein Trottel! Na warte, Paul Boden­pilz. Du wirst noch staunen. Am besten schaue ich mir den 'Unfallort‘ nochmal an. Ango stieg in seinen Fiat Cinquecento. Die Sonne brannte durchs Schiebedach auf seine Glatze. Während der Fahrt aufs Land hinaus schweiften seine Gedanken zur letzten Nacht zurück.

 

Er hatte Notfalldienst gehabt, war auf Pikett gewe­sen, als ein Anruf ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Herr Schneebeli klang aufgeregt und stot­terte etwas von Balkon, Teich und Verletzten. So­fort war Ango mit Blaulicht und Sirene zum Nach­bardorf gerast. Doch als er dort ankam, konnte er nur noch den Tod von Lyria Sanchez und Pedro Gonzalez feststellen. Sogleich benachrichtigte er die Polizei, die in der massigen Gestalt von Kom­missar Bodenpilz am Unfallort eintraf. Der sah sich kurz um, machte ein paar Notizen und knöpfte sich dann Hans Schneebeli und dessen Frau Gertrud vor.

„Es war schon tiefe Nacht...“, stammelte Hans Schneebeli noch immer aufgewühlt, „...Vollmond und heiss. Ich konnte nicht schlafen. Also packte ich Buch und Lesebrille und setzte mich in den Gar­ten. Die Nachbarn waren bereits sturzbetrunken. Zuerst hörte ich sie grölen, dann gab es ein wildes Liebesgestöhne. Na ja, bringt etwas Abwechslung in die Grabesstille des Dorfes. Doch plötzlich schrie Lyria: ‚Hilfe, Pedro ertrinkt!’ Ich sah, wie sie sich weit über das Balkongeländer lehnte. Sie war nackt, bis auf einen Tanga. Ich fürchtete schon, sie würde hinunterfallen. Ich rief, sie solle aufpassen, kletterte über den Gartenzaun und versuchte, Herrn Gonzalez aus dem Teich zu ziehen. Er lag mit dem Gesicht nach unten. Was war der schwer! Ich schaffte es kaum, seinen Kopf aus dem Wasser zu heben. Auf einmal hörte ich hinter mir einen Schrei, dann ein dumpfes Geräusch. Ich drehte mich um. Lyria lag auf den Gartenplatten. Aus ih­rem Mund floss Blut. Ich… die arme Lyria…“ Hans Schneebelis Stimme versagte. Benommen setzte er sich auf den nächsten Stuhl. „Ich wusste nicht, was tun. Dann rannte ich ins Haus zurück und rief den Notarzt.“

„Und Sie, Frau Schneebeli, wo waren Sie während dieser Zeit?“, brummte Kommissar Bodenpilz.

„Hab geschlafen, dank Oropax. Erst die Sirene des Notarztes hat mich geweckt.“

„Oropax? In dieser ruhigen Gegend?“

„Ja, seit diese liebestollen Nachbarn vor einem Mo­nat eingezogen sind. Ihr Gestöhn ist so laut; ich kann kein Auge mehr zu machen. Und das jede Nacht.“

Bei einigen Aussagen hatte es Ango hinter dem rechten Ohr gejuckt. Ein untrügliches Zeichen da­für, dass jemand log. Bereits als Schuljunge hatte er dieses Talent entdeckt und war schon manchem Schwindler auf die Schliche gekommen.

„Einfach zwei Unfälle, tja“, hatte Kommissar Bo­denpilz nach der Einvernahme bemerkt und war nach Hause gefahren.

 

Ango bog in die Dorfstrasse ein und parkte vor dem Zweifamilienhaus. Er schlüpfte unter den Absperr­bändern durch, löste das Siegel an der Eingangstür und trat ein. Eine Wolke von Parfum und Alkohol schlug ihm entgegen. Auf der Treppe musste er über eine Bluse, High-Heels, einen Mini-Jupe und einen BH steigen. Oben im Schlafzimmer sah es aus wie nach einer wilden Nacht. Die Bettlaken wa­ren durchwühlt, die Matratze verschoben und die Kissen lagen am Boden. Der gläserne Tisch vor dem Spiegel war über­säht mit kitschigem Schmuck. Ango öff­nete die Balkontüre. Der Duft von frisch ge­mähtem Rasen misch­te sich mit der ab­ge­standenen Luft des Schlafzimmers. Auf den Balkonfliesen lag eine Flasche Sangria, ein vertrocknetes Rinnsal schlängelte sich zum Abflussrohr. Und dort lag etwas, das Ango stutzig machte. Er hob es auf und betrachtete es von allen Seiten.

Das gehört nicht hierher, dachte Ango, aber woher stammt es? Er steckte es in die Hosentasche.

Im Teich unterhalb des Balkons – das Wasser schwabbelte dick aus der Düse und plätscherte auf einen Stein – blendeten Ango zwei Brillengläser, die das Sonnenlicht reflektierten.

Als er auf den Gartensitzplatz trat, stiess er mit dem Fuss an eine leere Flasche Wodka. Er stieg in den Teich und fischte eine Lesebrille heraus.

Das Design passt weder zu Lyria Sanchez noch zu Pedro Gonzalez, argwöhnte Ango.

Auch die Brille schob er in die Hosentasche.

Nachdenklich liess er seine Augen über die flirren­den Dächer am Fusse des Hügels schweifen. Plötzlich fühlte er sich beobachtet. Ein Mann trot­tete die Dorfstrasse entlang und schaute zu ihm hoch.

Der trägt ja die gleiche Brille wie die aus dem Teich, fiel Ango auf. Der Blick von Ango schien dem Mann nicht zu behagen, rasch verschwand er hinter der nächsten Villa.

 

Das Schnippen einer Gartenschere zog Angos Auf­merksamkeit an. Hans Schneebeli kauerte auf den Knien und stutzte den Rand seines englischen Ra­sens.

Dem fühle ich mal auf den Zahn, dachte Ango. Er drückte auf das Aufnahmegerät in seiner Brust­tasche und ging zum Gartenzaun.

„Schade um die hübsche Frau, nicht wahr?“

„Wie? Was?“, schreckte Hans Schneebeli auf. „Ach, Sie sind es, Herr Doktor. Ja, ein Jammer. Lyria war so nett.“ Ächzend erhob er sich.

Ango nahm das Teil aus dem Balkonabfluss aus der Hose und hielt es Hans Schneebeli vor die Nase. „Haben Sie dieses Stück schon mal gese­hen?“

„Zeigen Sie her, ich hab nämlich meine Lesebrille verlegt.“ Mit zugekniffenen Augen musterte Hans Schneebeli das Stück. „Woher haben Sie das?“ Auf seiner Stirn bildeten sich Schweissperlen.

„Kennen Sie es? Schauen Sie nochmal genau.“ Ango überreichte dem Alten die Lesebrille.

„Oh, danke! Wo haben Sie denn die gefunden?“

„Im Teich!“

„Oh! Muss ich verloren haben, als ich Gonzalez ret­ten wollte.“ Ango juckte es hinter dem Ohr.

„Ach! Du hast meine Brosche“, rief Gertrud Schneebeli, die gerade aus dem Haus trat und mit ihrer Überzahl an Kilos auf die beiden zu gondelte. „Ich such sie die ganze Zeit. Wo hast du sie gefun­den, Schatz?“

„Im Abflussrohr des Balkons“, antwortete Ango an­stelle von Hans Schneebeli, „bei Ihren Nachbarn. Haben Sie eine Ahnung, wie sie dort hinkommt?“

Gertrud Schneebeli war ausser Atem, ob vom Ge­hen oder wegen der Frage, war Ango nicht ganz klar. Jedenfalls verloren ihre Wangen rasch an Farbe. „Oh, dieses Luder! Sie hat sie geklaut!“

Plötzlich wurden Hans Schneebelis Wangen rot wie Lava. „Lyria würde nie etwas stehlen! Sie war ehrlich und nett!“

„Du hast ja nur noch Augen für sie gehabt! Tags­über verdrehte sie dir den Kopf und in der Nacht stöhnte sie mit ihrem Freund rum. Das soll ehrlich und nett sein?“

Die Adern an Hans Schneebelis Stirn quollen be­drohlich an. „Weisst du, wieso sie stöhnte? Er drohte ihr, sie umzubringen, wenn sie es nicht tat.“

„Woher willst denn du das wissen?“

„Hat sie mir anvertraut.“

„Aha, deshalb hat sie dich auch angefeuert, ihn zu ertränken, was?“

„Das Schwein wäre auch ohne mich ertrunken. Der wusste im Suff nicht mehr, wo oben und unten war. Aber woher willst du das wissen?! Du hast ja ge­schlafen!“

Hans Schneebelis Gesicht wurde leichenblass. „Das gibt’s nicht. Du warst das! Du hast dich in ihr Haus geschlichen und Lyria vom Balkon ge­schubst. Darum lag deine Brosche dort. Du hast meine Lyria…“ Hans Schneebelis Hände formten sich zu Krallen. Kurz bevor er zum Würgegriff an­setzte, räusperte sich Ango kräftig. Hans und Ger­trud erschraken. Sie hatten ihn ganz vergessen. Nun starrten sie Ango an, als wären sie gerade aus einem Alptraum erwacht. Kein Wort fiel mehr. Es war totenstill. Sie atmeten wie nach einem Mara­thon und der Schweiss lief ihnen in Bächen herun­ter.

Ango hatte genug gehört. Er überliess die beiden sich selbst und ging, ohne sich zu verabschieden.

 

Kurze Zeit später warf er stolz einen USB-Stick auf den Schreibtisch von Kommissar Bodenpilz. „Dop­pelmord.“

„Ach Ango“, grölte Bodenpilz und schüttelte herab­lassend den Kopf.

„Steck den Stick in den Laptop und hörs dir an“, gab Ango siegesgewiss zurück.

„Du weisst doch, dass solche Aufnahmen vor Ge­richt nicht gelten.“

„Ich bin Notarzt, nicht Polizist. Beweisen ist deine Sache, Paul Bodenpilz.“

Zufrieden knallte Ango die Tür hinter sich zu, als er das stickige Büro von Kommissar Bodenpilz ver­liess. Einmal mehr hatte er ihm den entscheiden­den Tipp gegeben.

 

 

verfasst März 2013, überarbeitet April 2014

© Joffrey Benedetto Asta

CH-3237 Brüttelen

 

 

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