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Foto: © Joffrey Benedetto Asta

Never give up!!!

 

Friedrich spurtete aus dem Bürokomplex. Die Kra­watte hüpfte im Takt seiner Schritte auf dem Bauch umher und in seiner rechten Hand schwang die Laptop-Tasche mit. Der Herbstregen prasselte auf seine Haare, doch für den Regenschirm fehlte die Zeit. Ein Blick auf die Uhr und Friedrich legte noch einen Zacken zu. Den Zug muss ich erwischen, dachte er. Sandra braucht mich. Sie will die Ab­stimmung gewinnen, und ich soll das Zünglein an der Waage sein!

 

Ein Sprung, die Tür schloss, der Zug fuhr ab. Fried­rich schmiss den Sakko auf die Gepäckablage, plumpste in den Einzelsitz neben der Tür und knallte die Tasche zwischen seine Füsse. Sein Brustkorb ging wie ein Blasbalg auf und ab. Von seiner Stirn flossen Bäche aus Regen und Schweiss. Die beiden Teenies gegenüber rümpf­ten darob ihre gepuderten Nasen. Friedrich nahm sein Smartphone und simste Sandra: ‚Bin im Zug. Bis gleich.‘

Warum bin ich bloss diesem ’Babys rundum ge­sund’-Verein beigetreten?, fragte er sich. Sogar in den Vorstand? Na ja, ist für unser Söhnchen. Und Sandra freut’s. Über was stimmen wir schon wieder ab? Ach, ja. Wegen einer neuen Schaukel auf dem Spielplatz.

 

Allmählich wurden Friedrichs Augenli­der schwer. Je tiefer er in den Schlaf sank, desto weiter kippte er nach vorne. Die junge Frau gegenüber zog angewi­dert ihre Beine zurück. Immer kurz be­vor Friedrichs Stirn ihren Schoss zu be­rühren drohte, schreckte er auf und wippte zurück. Zwei Kilometer vor dem nächsten Bahnhof bremste der Zug ab­rupt. Friedrich flog nach vorn und lan­dete auf ihrem Schoss.

„Heee… verdammter Perversling“, schrie sie und drosch ihm eine Ohrfeige ins Gesicht.

Friedrich rappelte sich auf den Sitz zu­rück und hielt sich die schmerzende Wange, die rasch anschwoll. Die Kra­watte zurecht rückend grunzte er: „Kein Grund, gleich dreinzuschlagen!“

„Bin halt erschrocken“, quietschte die junge Frau, dabei wurde ihr Gesicht rot wie eine Tomate.

 

Der Zug stand still wie eingefroren. Durch den Lautsprecher informierte eine Stimme: „Wir haben eine Panne und können nicht weiterfahren. Bleiben Sie bitte im Zug.“

„Scheisse“, zischte Friedrich. In zehn Minuten fährt mein Anschluss. Er packte Tasche und Sakko, rannte zur Zugspitze und hämmerte an den Füh­rerstand: „Sind wir in zehn Minuten am Bahnhof?“

„Wohl kaum“, brummte eine Stimme.

„Bitte lassen Sie mich raus, ich muss den An­schluss erwischen.“

Der kugelrunde Lokführer quetschte sich aus der Führerkabine und drückte einen Hebel neben der Zugtüre. „Viel Spass bei dem Regen!“

„Danke“, lächelte Friedrich gezwungen, sprang raus und schlitterte auf dem nassen Gras den Bahndamm hinunter. Er fiel um und glitschte auf dem Hintern weiter, wobei sich seine Hose grün färbte. Die Rutschpartie endete auf einem Feld­weg, der parallel zum Gleis verlief. Sogleich stob Friedrich Richtung Bahnhof davon. Er rannte, stol­perte, schleppte sich vorwärts und fühlte sein Herz nicht nur in der Brust hämmern, sondern auch im Bauch, in den Beinen und im Kopf. Die Autofahrer am geschlossenen Bahnübergang drückten schau­lustig ihre Nasen an den Scheiben platt, als sie Friedrich im Geschäftsanzug, pitschnass und mit grünem Hintern vorbei joggen sahen. Friedrich hastete an den ersten Häusern des Dorfes vorbei, als seine Beine zu versagen drohten. Da erblickte er die Scheinwerfer der Überlandbahn. Endlich, Friedrichs Knie waren schon zu Gummi geworden, schleppte er sich auf die Bahntüre zu. Doch plötz­lich stand ein quirliger, hellbrauner Hund knurrend vor ihm. Friedrichs Herzschlag beschleunigte von hundertfünfzig auf zweihundert – Auswirkung sei­ner Hundephobie. Mit letzter Kraft wich er dem Knurrer aus und stolperte zum nächsten Eingang. Doch der Hund holte ihn ein und stellte sich davor. „Scheisse…, verschwinde!..., kschksch…“ Fried­rich fuchtelte wild mit den Armen, die Tasche in sei­ner Hand drehte dabei ein paar Loopings. Doch das Biest machte keinen Wank. Als Friedrich hörte, wie der Zug die Bremsen löste, humpelte er zur ersten Tür zurück und stieg ein, samt Hund am Ho­senbein, denn dieser war hinterher gesprungen und hatte sich an ihm festgebissen. Plötzlich spürte er ein warmes Rinnsal vom Schritt ausgehend sein Bein hinab laufen, über seine Schuhe und auf den Boden – Auswirkung seiner Hundephobie. Doch da es sowieso überall an ihm herunter triefte, be­merkte dies niemand. Atemlos liess er sich auf den erstbesten Sitz fallen. Das kleine Monster zupfte weiterhin knurrend an seinem Hosenbein und liess jede Farbe aus Friedrichs Gesicht entweichen. Den Passagieren in der Nähe war das nicht geheuer – ein Mann im nassen Anzug mit geschwollener Wange auf milchigem Gesicht, ein Geruch wie auf dem Pissoir und ein Hund an der Hose – sie stan­den auf und suchten sich einen anderen Platz. Friedrich nahm sein Handy heraus und simste Sandra: „Bin im Anschlusszug. Komme gleich.“ Die Überlandbahn ratterte den Hügel hoch zum Dorf­zentrum, wo Friedrich ausstieg. Die Leute, an de­nen er vorbeiging, schauten ihm stirnrunzelnd nach. Er liess sich nicht beirren und tat so, als wäre es völlig normal, einen kleinen Hund am Hosenbein mit sich zu tragen.

 

Am Fussgängerstreifen auf dem Dorfplatz blieb Friedrich stehen. Ein Lamborghini schliff um die Kurve und raste auf ihn zu, von Anhalten und Vor­tritt geben keine Spur. Plötzlich löste sich der Hund von seinem Bein und sprang auf den Fussgänger­streifen. Friedrich stockte das Herz: Der Raser raste, der Kläffer kläffte und beide näherten sich ei­nander dramatisch. Friedrich verwarf die Arme Richtung Lamborghini und hechtete auf die Strasse. Während er eine Judo-Rolle hinlegte, schnappte er den Vierbeiner. Gleichzeitig hatte der Raser das Bremspedal gefunden. Doch als Fried­rich wieder auf den Beinen war, reichte es nicht mehr, aus der Schusslinie zu gelangen. Er sprang – samt Hund – in die Luft, rollte über die Kühler­haube, knallte mit dem Hintern in die Windschutz­scheibe und blieb darin stecken. Die Frontscheibe zersplitterte in tausend Teile, fiel in sich zusammen und Friedrich landete auf den Beinen der Beifahre­rin. Diese schrie, als kriegte sie ein Kind. Erst als der Fahrer – ein dickbauchiger fluchender Möchte­gernjunggebliebener – Friedrich raus half, beru­higte sich die Dame wieder. Als Friedrich den fröh­lich kläffenden Hund auf den Boden stellte und Glassplitter aus seinem Hintern zog, fiel sein Blick auf die Armbanduhr. Scheisse, die Sitzung hat an­gefangen! Sein Handy piepste, SMS von Sandra: Wo bleibst du denn? Friedrich schnappte die Ta­sche, drückte dem Fahrer seine Visitenkarte in die Hand und rannte mit den Worten „Hab ‘nen drin­genden Termin, melden Sie sich“ davon. Wie­der biss sich der Hund an seinen Hosen fest und wippte mit. Auf halber Höhe des Hanges zum Kirchgemeindehaus blieb Friedrich die Puste weg. Er wechselte vom Galopp in den Trab. Und wie im­mer, wenn Friedrich unter Stress stand, spielte er mit seinem Ehering, zog ihn vom Finger und steckte ihn wieder an, ab-an-ab... und Tschüss, der Ring kollerte den Hang hinunter. „Das glaub ich einfach nicht!“, brüllte Friedrich. Der Kläffer fand’s lustig, sprang dem Ring hinterher, schnappte ihn, kurz bevor dieser in einem Gulli verschwand, und brachte ihn mit leuchtenden Augen zurück. Fried­rich war erleichtert, hielt die Hand hin, doch der Hund rückte den Ring nicht raus. „He, Kleiner…gib her!“ Friedrich rang mit ihm am Boden, steckte seine Hand ins Maul, wurde gebissen und schaffte es endlich, den Ring heraus zu klauben.

„Sie sollten sich was schämen, Sie Tierquäler!“ Eine resolute Bäuerin schaute mit drohendem Zei­gefinger auf ihn herab und hielt ihm die Spitze ihres Regenschirmes unter seine Nase. Als sie vom Hund wild angebellt wurde, suchte sie das Weite.

„Du bist okay.“ Friedrich kraulte dem Kleinen den Kopf und staunte, dass seine Phobie so plötzlich weg war.

 

Endlich erreichte Friedrich das Kirchgemeinde­haus. Er riss die Eingangstür auf, stampfte die Treppe hoch – immer zwei Tritte auf einmal –, dicht hinter ihm sein vierbeiniger Freund. Auf den obers­ten Stufen schlipfte Friedrich aus, knallte der Länge nach auf die harten Kanten und holperte bäuch­lings die Treppe wieder runter. Gleichzeitig hüpfte der kleine Balg auf Friedrichs Rücken und surfte fröhlich kläffend mit ihm hinunter. Unten angekom­men spürte Friedrich alle Rippen, der aufge­schürfte Bauch brannte, die Knie und die Schien­beine glühten. Fluchen war nicht Friedrichs Art, doch jetzt liess er Worte raus, die jedermanns Trommelfell veröden würden. Sandra simste: Gleich stimmen wir ab, wo bleibst du? Friedrich raffte sich auf, kletterte auf allen Vieren die Treppe hoch – den Hund noch immer auf seinem Rücken – rammte durch die Tür ins Sitzungszimmer, sah, wie Sandra die Hand hochhielt, streckte seine Hand in die Höhe und brach ohnmächtig in sich zu­sammen. Er nahm nur noch den entsetzten Schrei von Sandra wahr. Das hysterische Getue der an­deren Sitzungsteilnehmer versank in Dumpfheit und Schwärze.

 

Als er wieder zu sich kam, lag er am Boden. Die Beine waren auf einem Stuhl hochgelagert. Sandra bückte sich über ihn und versuchte ihn zu reanimie­ren.

„Haben wir die Abstimmung gewonnen?“, brum­melte er.

„Ja…, Liebster. Aber…, was ist mit dir los?“

Friedrich bot wahrlich kein schönes Bild: Pitsch­nass, geschwollene Wange, grüner Hintern mit Glassplittern drin, zerbissenes Hosenbein, aufge­schürftes Hemd, bestialischer Gestank.

„Kennst mich doch, verstricke mich immer wieder in Schwierigkeiten.“

Einige Vereinsmitglieder wurden bleich, andere gingen auf die Toilette, um sich zu übergeben. Nur Friedrich gab selig von sich: „Ich hab’s geschafft…“

 

„Ich krieg noch ‘nen Herzinfarkt wegen dir.“ Sandra streichelte ihm über den Kopf. „Letztes Mal hatte ich deinetwegen vorzeitige Wehen“, schalt sie ihn augenzwinkernd.

„Und ich krieg Herzrasen wegen dir...“, lächelte Friedrich und schielte in Sandras Ausschnitt, der seit der Geburt ihres Söhnchens um einiges praller geworden war.

Da sprang der Hund auf Friedrichs Brust und leckte ihm das Gesicht. Als er Sandra „Och, ist der süss, das ist doch ein Norfolk Terrier“ sagen hörte, wusste er: Diesen Hund werde ich nie mehr los.

 

 

verfasst Oktober 2013, überarbeitet Juni 2014

© Joffrey Benedetto Asta

CH-3237 Brüttelen

 

 

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