
Ist der Text oben zu klein? Nachfolgend der gleiche Text, etwas grösser:
Kleine Wunder
Ein Schmetterling flattert an einem schneeweissen Kirschbaum vorbei, über Wiesenschaumkraut, Margritli und Dotterblumen. Dann schwebt der Kleine Fuchs auf etwas weisses Rundes zu und landet darauf. Er kraxelt herum und verheddert sich in den grauen Borsten.
Peters Schnarchen stockt. An seinem runden Bauch juckt es. Er hatte sich auf die Gartenbank gesetzt, um sich von der Sonne den Winter aus den Knochen treiben zu lassen. Seinen Pullover hat er hochgezogen. Er liebt es, die Wärme auf der Haut zu spüren. Wieder kitzelt es am Bauch. Er kratzt sich. Die Augen mag er nicht öffnen. Er geniesst die rot-orange Farbe, die die Sonne durch seine Lider zaubert. Ganz in der Nähe hört er das Zwitschern einer Kohlmeise. Nun kribbelt es an seiner Nase. Peter lugt durch die halb geöffneten Augen: "Gopfriedstutz, was ist das?" Sogleich schwirrt der Kleine Fuchs davon wie ein Flaum, der im Wind tanzt. Er landet auf einem Krokus. Peter steht langsam auf und folgt ihm. Seine alten Knie schmerzen. Bedächtig wie ein Bär, aber neugierig wie ein Kind, trottet er durch den hohen Rasen. Als er beim Kleinen Fuchs ankommt, öffnet dieser die Flügel. Peter zieht vorsichtig die Lesebrille an, die vor seinem Bauch baumelt, und bestaunt die schwarz-orange Zeichnung des Kleinen Fuchses. Er ist fasziniert von den kleinen Wundern im Grossen und den grossen Wundern im Kleinen.
Da bewegt sich etwas Rotes zwischen den Grashalmen. Peter geht in die Hocke und entdeckt einen Marienkäfer. Dieser kraxelt den Halm eines Margritli hoch, verschwindet im Schatten der Blütenblätter und taucht wieder auf. Nun krabbelt er über den gelben Blütenstaub und hinterlässt darauf eine kaum wahrnehmbare Spur. Daraufhin klettert er wieder hinunter und verschwindet im dichten Geflecht des Rasens. Peter, enttäuscht, will aufstehen, als eine Ameise seine Aufmerksamkeit anzieht. Sie schleppt einen Krümel mit sich. "Woher hast du den?", fragt Peter. "Ach, der ist ja von meinem Gipfeli heute morgen beim Sonnenaufgang, und sowieso...", schmunzelt er und kniet hin. Die Ameise stemmt den Krümel unbeirrt weiter, bis seine Kollegen ihm zu Hilfe eilen. Zusammen tragen sie den Brösel über Kiesel und Erdklumpen, kleinen Ästen und zwischen den Grashalmen hindurch, bis sie ihn im Bau verstauen. Peter ist ihnen auf allen Vieren gefolgt. Am liebsten wäre er auch in den Bau gekrabbelt.
Genau in diesem Moment kommt Trudi mit zwei Tassen in den Händen aus dem Haus. Der Kaffeegeruch vermischt sich mit dem süsslich-herben Duft des Frühlings. Da entdeckt sie ihren Peter, oder das, was von ihm zu sehen ist. Sein Hinterteil ragt aus dem hochgewachsenen Gras. Weder Kopf noch Füsse sind auszumachen. Und er bewegt sich nicht. Sie wird bleich vor Angst und schreit: "Herrje, Peter!" Die Kaffeetassen knallen zu Boden. Peter, ganz vertieft in die Schöpfung, erschrickt zu Tode. Er fährt hoch. Gleichzeitig schiesst es ihm ins Kreuz. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blickt er zu seiner Trudi. Diese stützt sich an die graue Hauswand und krallt die Finger in ihre Schürze.
"Gopfriedstutz, was ist denn los?", stöhnt Peter und sieht seine Frau fragend an.
"Gott sei Dank, du lebst. Herrje, hast du mich aber erschreckt."
"Ich dich? Du hast mich erschreckt. Ich hab nur die Natur bestaunt. Und sowieso, jetzt hab ich einen Hexenschuss. Musst du so schreien?"
"Wie konnte ich wissen, dass du den Rasenboden ab schnüffelst. Ich dachte, du wärst tot."
"Sehe ich wie ein Toter aus?"
Da flattert ein Zitronenfalter am schneeweissen Kirschbaum vorbei und schwebt auf etwas weisses Rundes zu. Er landet darauf, kraxelt herum und verheddert sich in den grauen Borsten.
"Peter, du hast einen Zitronenfalter auf der Glatze", lacht Trudi.
"Tja, neuerdings bin ich eine Landebahn für Schmetterlinge. Und sowieso..., ist der Frühling nicht herrlich?"
erschienen im 'reformiert' vom Mai 2012
© Joffrey Benedetto Asta
CH-3237 Brüttelen