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Foto: © Joffrey Benedetto Asta

Die Galeere

 

Sind wir Menschen nicht alle Sklaven auf einer mächtigen Galeere?

 

Die meisten Menschen zerren an den Rudern, die Hände zerschunden, die Kleiderfetzen trie­fend vor Schweiss. Gnadenlos dröhnt der Trommelschlag.

Die Ruderer haben 'es‘ zu wenig, auch wenn sie bis tief in die Nacht hinein schuften, 'es‘ reicht nie aus.

 

Nicht wenige Menschen sind Aufseher, pa­trouillieren um die Ruderer herum, schwingen die Peitsche, blutverklebt deren Spitzen.

Die Aufseher haben 'es‘ gerade so viel, dass sie davon leben können. Und wenn sie die Ru­derer eisern im Griff haben, steigen sie auf zum Überwacher. Vielleicht.

 

Der Trommler schlägt die Zeit. Die Zeit ist 'es‘. Und 'es‘ verlangt, dass der Trommler immer schneller schlägt.

 

Einige Menschen sind Überwacher auf Deck, stellen unerbittlich sicher, dass die Aufseher und der Trommler die Befehle befolgen.

Die Überwacher haben 'es‘ genug, können sich was leisten. Je mehr sie die Aufseher het­zen, je schneller sie den Trommler schlagen lassen, desto ausgiebiger haben sie 'es‘. Tun sie dies nicht, droht ihnen der Abstieg zum Aufse­her oder noch schlimmer, zum Ruderer.

 

Wenige Menschen sind Offi­ziere, kontrollieren das Sys­tem auf der Galeere, verursa­chen Krisen und zetteln Kriege an, sodass niemand sich zu widersetzen wagt.

Die Offiziere haben 'es‘ zu Genüge. Soviel, dass 'es‘ sich von selbst vermehrt.

 

Der Kapitän hat 'es‘ so viel, dass er verschmolzen ist da­mit. Die Untergebenen sind

ihm egal, weil 'es‘ – das Geld – weder Gefühle noch Mitleid kennt. Nur der Kapitän weiss, wo die Galeere hinfährt.

 

Die Galeere treibt im Strom der Gier und steu­ert direkt auf den Weltuntergang zu. Was am Schluss bleiben wird, ist ein grosses Nichts.

 

Obwohl die Offiziere, Überwacher, Aufseher und Ruderer erahnen, wo die Reise hin führt, meutern sie nicht. Die Angst hält sie gefangen. Sie bangen um den Verlust ihrer Macht, ihres Wohlstandes, ihres Lebensstandards, ihrer Existenz.

 

„Mann über Bord!“, schreit jemand.

„Nicht schon wieder!“, flucht der Kapitän und späht dem Flüchtigen nach. „Komm sofort zu-rück!!“

Doch dieser kümmert sich einen Deut um den Kapitän. Er folgt einem Schwarm von Schwim­mern. Es sind Ruderer, Aufseher, Überwa­cher, Offiziere, die von der Galeere gesprun­gen sind und nun gegen den Strom kraulen.

Sie folgen dem Mann, der fortwährend denen in der Galeere zuruft: „Komm mit. Denn du kannst nicht zwei Herren dienen.

 

 

verfasst Juli 2004, überarbeitet Oktober 2014

© Joffrey Benedetto Asta

CH-3237 Brüttelen

 

 

ben-detto | Geschichten zum 'Davonlaufen' | Joffrey Benedetto Asta

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Geschichten zum 'Davonlaufen' von Joffrey Benedetto Asta

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